Afghanistan – nicht allein lassen!

Wir dürfen Afghanistan nicht allein lassen! Das war die Botschaft von drei hochrangigen Vertretern aus Usbekistan, die für eine Woche zu Gesprächen nach Berlin gekommen waren. Bei einem sehr informativen Abend am vergangenen Donnerstag berichteten sie vom Stand der Gespräche mit den Taliban-Vertretern in Afghanistan. Die Gespräche dauern an und allein das ist ein gutes Zeichen. Wenig ist bisher in den Medien in Deutschland darüber erschienen.

Akram Nematov aus Taschkent, der Hauptstadt von Usbekistan, führte die Delegation. Er ist ein kenntnisreicher Experte für Außenpolitik, und dabei insbesondere für Afghanistan. In fließendem Deutsch erklärte er die Sicht der Regierung in Taschkent auf die heutige Lage und die Aussichten.

Der Präsident von Usbekistan, Schafkat Mirziyoyev, hat seit Beginn seiner Amtszeit 2016 die guten Beziehungen von Usbekistans zu allen seinen Nachbarn, auch Afghanistan, zum obersten Ziel erklärt. Eine keineswegs einfache Aufgabe, wie sich schon in den vergangenen Jahren herausstellte. Doch die Regierung hat sie erfolgreich gelöst: Mit allen, einst zerstrittenen Nachbarn hat sie gute Kontakte hergestellt und damit eine gute regionale Zusammenarbeit in Zentralasien auf den Weg gebracht.

Gespräche mit Afghanistan gab es schon seit Monaten. Schließlich ist es Ubekistans Nachbar im Süden. Bereits 2001, als die Nordallianz die Taliban bekämpfte, hatte Usbekistan versucht, die kämpfenden Parteien an den Verhandlungstisch zu holen und zu versöhnen, was nicht gelang. Aber die Taliban wurden aus dem Land gedrängt. Seit 2017 gab es wieder Gespräche, damals mit viel Kritik aus dem Ausland. Aber sie seien alternativlos gewesen.

Jetzt ist die Lage eine andere. Der Druck ist weitaus größer. Ashraf Ghani, der noch Mitte Juli auf einer großen, internationalen Konferenz in Taschkent über Afghanistan sprach, hat längst das Land verlassen und damit seine Landsleute ihrem Schicksal unter den Taliban überlassen. Nun sind sie diejenigen, mit denen die Gespräche weiter gehen. “Wir müssen mit ihnen reden” ist die feste Überzeugung von Nematov. “Wir” –  damit meint er zunächst die usbekische Regierung, dann die Nachbarländer von Afghanistan, aber auch die internationale Gemeinschaft, um deren Unterstüzung er wirbt.

Die Gespräche dürften nicht einfach sein. Afghanistan hat viele Taliban-Gruppen, mit unterschiedlichen Zielen und Ausrichtungen. Die brauchen jetzt Zeit, um sich zusammen zu finden und die Macht zu konsolidieren. Es müsse eine politische Lösung für Afghanistan geben. Eine Dynamik innerhalb der Taliban-Gruppen sei sichtbar, berichtet Akram Nematov, “Vor einer Woche gab es noch vier Machtzentren, jetzt nur noch eins.” .

Bei der Lösung und der Entwicklung eines selbstständigen Staates will Usbekistan die Afghanen unterstützen. Die Ziele sind dabei klar und definiert: Politisch müsse sicher sein, dass in dem vielfältigen Land alle Gruppierungen und die Frauen in der Regierung vertreten sein werden.

Wirtschaftlich hat es in den vergangenen Jahren bereits neue Entwicklungen gegeben: Der Handel zwischen Usbekistan und Afghanistan ist deutlich gestiegen. Eine Eisenbahnlinie, die Usbekistan im Norden seiner Nachbarn gebaut hat, hilft bei der wirtschaftlichen Entwicklung, sowohl Usbekistan als auch Afghanistan. Auch mit Stromlieferungen helfen die Usbeken den Afghanen: Mehr als die Hälfte der dort benötigten Elektrizität liefert Usbekistan zu extrem niedrigen Preisen an seine Nachbarn.

Wie die weitere Entwicklung aussieht, das ist noch offen. Aber, das wiederholt Nematov immer wieder, wir müssen im Gespräch bleiben. Afghanistan brauche keine militärische, aber eine politische Lösung. Die Taliban haben die Truppen aus dem Ausland als Besatzer gesehen und sie deshalb bekämpft. Jetzt sind die aus dem Land –  und die Taliban-Gruppen müssen mit dem Regieren anfangen, und eine Bevölkerung von rund 36 Millionen Menschen versorgen. Afghanistan sei ein reiches Land, stellt Nematov fest, denn es habe viele wertvolle Bodenschätze. Aber die wird es erst nutzen oder nutzbringend exportieren können, wenn die Menschen im Land versorgt und Frieden und Sicherheit hergestellt sind.

Daran hätten auch alle Nachbarn großes Interesse, betont der Diplomat aus Taschkent. Sie seien schon im Gespräch miteinander, auch mit China. Eine Plattform dafür ist die SCO, die Shanghai Organisation, in der sämtliche Zentralasiaten, China, Russland und weitere Länder vertreten sind. In Afghanistan dürfe kein Machtvakuum entstehen. Drogen und Waffenhandel könnten dann – wieder –  zu einem wachsenden Problem werden. Darum müsse man im Gespräch bleiben. Auch die internationalen Partner Usbekistans sollen davon überzeugt werden.

Es sind drei sehr bemerkenswerte Besucher, die mit ihrer klaren Botschaft nach Berlin gekommen sind, in Zeiten, in denen das ganze Desaster, das der Westen in Afghanistan angerichtet hat, noch sehr präsent ist und gewaltig schmerzt. Sie bringen ein wenig Hoffnung, aber auch den deutlich vorgetragenen Appel, die Region und die gewaltigen Aufgaben rund um Afghanistan nicht denen zu überlassen, die im Land geblieben sind. Sie werden es nicht allein schaffen, eine stabile Situation herzustellen, so die Einschätzung. Auf Seiten der Taliban gibt es den Wunsch zu guten Kontakten nach außen.

Die Gespräche mit Afghanistan-Vertretern müssen weiter gehen. Die usbeksichen Vertreter haben die fundierten Kenntnisse, das kulturelle Wissen und das Gespür, das nötig ist, um die Gespräche zu weiter zu führen, auch wenn sie lange dauern. Aber sie brauchen die politische Unterstützung, und wahrscheinlich auch wirtschaftliche Hilfe, damit die Menschen in Afghanistan zunächst den Winter überstehen, ohne in einen inneren Konflikt zu geraten. Das machten Akram Nematov und seine Kollegen Eldor Tulyakov und Herr Mustafayev deutlich. Ein Bürgerkrieg in Afghanistan wäre eine dramatische Entwicklung, welche die ganze Region Zentralasien und wohl auch Pakistan destabilisieren würde, und darüber hinaus. Daran kann niemand Interesse haben.

Es war ein rundum infomativer, erkenntnisreicher Abend. Möge der weitere Verlauf der Gespräche so erfolgreich sein wie dieser Abend!

Weiteres zur Zusammenarbeit in Zentralasien in den Zentralasienanalysen: Hier klicken, bitte

Akram Nematov, Eldor Tulyakov, Herr Mustafayev

Weitere Beiträge zum Thema: S. auch Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg IFSH: https://ifsh.de/ww/afghanistan

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