Flüchtlinge im Kaukasus

Tausende Flüchtlinge leben im Kaukasus. Weitere aus Karabach kommen in diesen Tagen hinzu. Was wird aus ihnen?

In Georgien leben Flüchtlinge der “1. Generation” aus Abchasien, die in den 1990-er Jahren fliehen mussten, dann die aus der “2. Generation” aus Abchasien, die nach dem Krieg zwischen Russland und Georgien 2008 Abchasien verlassen haben. Dann die Menschen aus Südossetien, georgische und südossetische Familien, die nach dem Krieg nicht mehr in Ihre Region zurückkehren konnten, weil die russichen Besatzer sie zunächst provisorisch mit Stacheldraht und dann fest die Trennlinie abgeriegelten. Die meisten Bewohner von dort, die meisten Bauern, wollten einfach nur zurück auf ihr Land –  auch wenn es ihre Dörfer nicht mehr gab, weil sie zerstört wurden.  “Wir müssen jetzt sogar Petersilie kaufen”, erklärt mir eine Flüchtlingsfrau und empfindet das als ein tiefes Leid. Ihre Familien hatte große Felder, und auf den fruchtbaren Böden Südossetiens wuchs so gut wie alles. Was ihr und allen anderen Flüchtlingen blieb, war ein tiefer Hass auf die Besetzer und auf die Politik, die “hohe Politik”, wie sie sagten.

In Aserbaidschan leben bis heute tausende Flüchtlinge aus Karabach. Unter schlimmsten Umständen mussten sie ihre Häuser verlassen. “Wir hatten nicht einmal Zeit, unsere Jacken zu holen”, berichtet einer von ihnen. “Ich bin mit der Mistgabel in der Hand geflohen, zur Verteidigung.” berichtet ein anderer. “Meine Frau hatte die beiden Kinder.” Auch bei ihnen sitzt der Hass tief – auf “die Armenier”. Mitglieder der Familien gingen auf der Flucht verloren, starben, wurden verwundet und mussten so zurück bleiben. In und um Baku und Sumgait fanden die meisten eine neue Bleibe, die einen notdürftig zusammengefercht in öffentlichen Gebäuden, die anderen nach Jahren untergebracht in Wohnungen, die der Staat ab 2007 errichtete, nachdem die ersten Petrodollars sprudelten.

Das große Leid, dass die Flüchtlinge erfahren haben, geben sie weiter, an ihre Kinder und Enkel, an ihre Freunde und  Nachbarn. (Wie, das hat die Epigenetik mittlerweile sogar nachgewiesen!) Jeder in Georgien kennt mindestens eine Familie, die geflohen ist. Jeder in Aserbaidschan kennt mindestens eine Familie, die fliehen musste. So sind nicht nur Flüchtlinge, aber auch ganze Länder traumatisiert.

Armenier flüchten jetzt aus Karabach und den umliegenden Regionen.  Sie sind den rückkehrenden Aserbaidschanern ausgesetzt. Nichts wollten die Fliehenden den wieder einkehrenden Aserbaidschanern überlassen. Manche zündeten sogar ihre Häuser an. Die neuen Flüchtlinge werden ihre Erlebnisse aus dem Krieg und von der Flucht mit nach Armenien nehmen, und dort weiter geben an Familie, Freude, Nachbarn. So vervielfältigen sich ihre Erfahrungen. Sie werden neuen Hass schüren.

Jetzt muss etwas getan werden, damit der Hass nicht wächst. Nötig ist  jetzt, in Armenien, in Aserbaidschan und auch in Georgien gemeinsame, positive Erlebnisse zu schaffen. Frieden im Kaukasus kann es erst geben, wenn die Vergangenheit und die jüngste Vergangenheit aufgearbeitet werden und wenn alte, zum Teil politisch genutzte, Feindbilder verschwinden. Das wird seine Zeit dauern, aber es ist wichtig, jetzt damit anzufangen. Die Politik muss jetzt Programme dafür auf den Weg bringen, Sportveranstaltungen wie Fussballturniere, kulturelle Veranstaltungen, Schüler- und Studentenaustausche. In kleinen Schritten, Veränderugen brauchen Zeit.

Kulturelle Einheit sollte ihren Platz bewahren, aber gleichzeitig machen kulturelle Vielfalt und Toleranz stark, bereichern und schaffen Sicherheit.

(PS: Deutschland und seine Traumata aus den beiden Weltkriegen leben bis heute weiter, nach 70 und mehr als hundert Jahren. Gerade die Erzählungen von Vertreibungen aus dem Osten haben feste Plätze in den Erinnerungen fast aller Familien. Sie blieben bestehen. Die Kriegserlebnisse mit Frankreich dagegen sind verblasst. Die Politik hatte schon vor Jahren Programme zur Versöhnung ins Leben gerufen und so das alte Narrativ mit neuen, positiven Erlebnissen ersetzt und überschrieben. Die gelebte deutsch-französische Freundschaft wurde gebahnt, u.a. mit den Deutsch-Fanzösischen Jugendwerk – und sie lebt!)

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